Der erläuternde Erlass des GBA vom 20. März 1943

Diese Vermutung bewahrheitete sich knapp einen Monat später: Am 20. März 1943 informierte der GBA die Präsidenten der Landesarbeitsämter darüber, dass die Befristung „zunächst“ bis zum Ende des Krieges aufgehoben sei.[26] Es wurde ausdrücklich bestimmt, dass das neu geregelte Mutterschutzgesetz vom 17. Mai 1942 nicht für „Ostarbeiterinnen“ und Polinnen gelten sollte. Sie erhielten nur den „Mindestschutz“, das waren „2 Wochen vor und 6 Wochen nach der Niederkunft“. In dieser Zeit sollten sie aber trotzdem für Haus- und Heimarbeiten eingesetzt werden. Bei größeren Lagerkomplexen waren dafür entsprechende „Beschäftigungsbaracken“ zu schaffen.[27]

Bei dieser Gelegenheit verdeutlichte Sauckel auch, wie er sich die „Errichtung von Entbindungseinrichtungen“ vorstellte: „Grundsätzlich sollen die Entbindungen in den Krankenbaracken der Betriebe ermöglicht werden. Soweit Kleinbetriebe nicht in der Lage sind, entsprechende Einrichtungen einfachster Art zu schaffen, haben etwa vorhandene Großbetriebe am gleichen Ort oder in der Nähe in Gemeinschaftshilfe die Schwangeren der Kleinbetriebe mit aufzunehmen. Auch in der Landwirtschaft werden sich mit Hilfe der Dorfgemeinschaft (Ortsbauernführer) die Entbindungen weitgehend örtlich regeln lassen, zumal es sich meistens um Polinnen und Ostarbeiterinnen handelt, die im Allgemeinen leicht niederkommen. Zur Entlastung der Bäuerinnen der Klein- und Mittelbetriebe werden auch hier die Großbetriebe der Landwirtschaft durch Aufnahme der Schwangeren in ihre Lager einzubeziehen sein. Zur Hilfe bei der Entbindung und zur Pflege der Wöchnerinnen und der Kinder sind bei Ostarbeiterinnen, soweit Osthebammen nicht zur Verfügung stehen, so wie es in den Ostgebieten ebenfalls üblich ist, geeignete ältere Ostarbeiterinnen, die selbst Kinder gehabt haben, einzusetzen.“[28]

Hinsichtlich der „Fahrtkosten zur Entbindungseinrichtung und zurück zum Einsatzort“ wurde Folgendes festgelegt: „Soweit aus besonderen Gründen die Entbindungen für einen größeren Bereich in einer zentralen Stelle (Krankenbaracke bei öffentlichen Krankenhäusern, Entbindungsbaracke, Durchgangslager usw.) durchgeführt werden müssen, können Fahrtkosten für die Schwangere und, falls bei völlig Sprachunkundigen Begleitung notwendig ist, auch für diese auf Mittel des Reichsstocks übernommen werden, wenn die Schwangere oder Wöchnerin selbst die Kosten nicht bestreiten kann. Dies ist bei Ostarbeiterinnen wegen der Ostarbeiterabgabe regelmäßig zu unterstellen.“[29] Eine durchaus realistische, aber auch zynische Einschätzung der Situation von schwangeren Zwangsarbeiterinnen.

In ähnlich herabwürdigender Weise wurde die „Versorgung schwangerer Ausländerinnen“ geregelt: „Ausländischen Arbeiterinnen (außer Polinnen und Ostarbeiterinnen) … darf in dringenden Fällen ein Bezugsschein über ein Umstandskleid erteilt werden. … Polinnen und Ostarbeiterinnen darf nur so viel Stoff bewilligt werden, wie zur Änderung der vorhandenen Kleidung unbedingt erforderlich ist. Die Bewilligung bequemeren Schuhwerks wird im Allgemeinen, zumindest bei den Ostvölkern, nicht erforderlich sein, da gesundheitlich ungünstiges Schuhwerk eine Zivilisationserscheinung ist.“[30] In Bezug auf die Notwendigkeit des Stillens der Neugeborenen wurden zwei Möglichkeiten geboten: Wenn im Betrieb eine Stillmöglichkeit vorhanden sei, dann sollte täglich zweimal eine halbstündige unbezahlte Stillpause „gewährt“ werden. Wenn das nicht der Fall sein sollte und das Lager sich nicht in der Nähe des Betriebes befindet, dann wurde täglich einmal eine einstündige unbezahlte Stillpause „gewährt“.[31] Das Mutterschutzgesetz von 1942 wurde u.a. in der Absicht verfasst, die Stilltätigkeit der deutschen Frauen zu fördern, deshalb wurden das Stillgeld verdoppelt und die Stillpausen verlängert.

Sebastian Lehmann ist im Jahre 2001 für Schleswig-Holstein davon ausgegangen, dass „solche Entbindungsstätten [wie von Sauckel gefordert] flächendeckend in der ganzen Provinz eingerichtet worden sein dürften“, aber bisher „sind sie nur in den seltensten Fällen belegt.“[32] Diese Einschätzung kann durchaus geteilt werden.

 

Der Erlass Heinrich Himmlers (i.V. Dr. Kaltenbrunner) vom 27. Juli 1943

Aufgrund der anhaltenden Diskussionen und Unsicherheiten über die „Behandlung schwangerer ausländischer Arbeiterinnen und der im Reich von ausländischen Arbeiterinnen geborenen Kinder“ sah sich der „Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei“ offensichtlich gezwungen, in einem 12-Punkte-Programm[33] für Klarheit zu sorgen. Zunächst einmal bestätigte und präzisierte er die Anordnung des ihm unterstellten GBA Sauckel vom Dezember 1942 und formulierte in Punkt 1: „Ausländische Arbeiterinnen sind wegen eingetretener Schwangerschaft bis auf weiteres nicht mehr in die Heimat zurückzuführen.“ Diese Anordnung gelte insbesondere für Polinnen und Ostarbeiterinnen. Nach der Entbindung sollten die Frauen „baldmöglichst der Arbeit wieder zugeführt“ werden.

Im zweiten Punkt wurde festgelegt, dass die Entbindungen „tunlichst in besonderen Abteilungen der Krankenreviere in den Wohnlagern oder den Durchgangslagern stattfinden. Die Aufnahme in eine Ausländer-Krankenbaracke bei einem deutschen Krankenhaus oder ganz ausnahmsweise in eine deutsche Krankenanstalt kommt nur beim Vorliegen von Regelwidrigkeiten in Frage oder bei der Notwendigkeit, für die Ausbildung von Studenten oder Hebammen-Schülerinnen das Untersuchungsgut zu schaffen.“ In solchen Fällen sei aber streng auf „die Trennung von deutschen Schwangeren“ zu achten.

 

Die Einführung des Begriffs „Ausländerkinder-Pflegestätte“ (Juli 1943)

Im dritten Punkt wurde die Unterbringung der Neugeborenen problematisiert: „Die von den Ausländerinnen geborenen Kinder dürfen auf keinen Fall durch deutsche Einrichtungen betreut, in deutsche Kinderheime aufgenommen oder sonst mit deutschen Kindern gemeinsam aufwachsen und erzogen werden. Daher werden in den Unterkünften besondere Kleinkinderbetreuungseinrichtungen einfachster Art – „Ausländerkinder-Pflegestätte“ genannt – errichtet, in denen diese Ausländerkinder von weiblichen Angehörigen des betreffenden Volkstums betreut werden.“

Diese Regelung sollte zunächst auch für die Landwirtschaft gelten, in der „Ausländerkinder-Pflegestätten“ – „gegebenenfalls unter Anlehnung an die Ausländerunterkünfte eines Großbetriebes – für die Ausländerkinder des gesamten Dorfes zu schaffen sind.“ In kleinen Dörfern, in denen „nur einzelne oder wenige Ausländerkinder vorhanden sind“, sollte aus praktischen Gründen „vorerst von der Errichtung einer „Ausländerkinder-Pflegestätte“ abgesehen werden können.“ Die Aufsicht über diese neuen Einrichtungen wurde „beim landwirtschaftlichen Einsatz dem Reichsnährstand“ übertragen und in allen übrigen Fällen der Deutschen Arbeitsfront (DAF).

Abschließend wurde im dritten Punkt eine mögliche „Umvermittlung der schwangeren Ausländerinnen bzw. der Ausländerinnen mit Kinder“ erörtert: „Die Kräfte aus dem Einzeleinsatz oder aus kleineren Betrieben“ sollten „möglichst in Betriebe oder Dörfer mit „Ausländerkinder-Pflegstätte“ kommen, wenn das Kind sonst nicht in eine solche Einrichtung aufgenommen werden kann.“

 

„Gut-rassisch“ oder „rassisch unerwünscht“?

Alle Schwangerschaften von Ausländerinnen sollten durch die Betriebe über das zuständige Arbeitsamt dem Jugendamt gemeldet werden, das dann anschließend eine „vorläufige Vaterschaftsermittlung“ vorzunehmen hatte. Es war z.B. festzustellen, ob „es sich bei dem Erzeuger um einen Deutschen oder Angehörigen eines artverwandten stammesgleichen (germanischen) Volkstums handelt.“ Sofern die Schwangere eine Auskunft zum Vater ihres Kindes verweigerte, wurde sie zur Vernehmung an die Geheime Staatspolizei (Gestapo) überwiesen.[34] „In den Fällen, in denen auf Grund der rassischen Überprüfung sowie erbgesundheitlichen und gesundheitlichen Begutachtung des Erzeugers und der Schwangeren mit einem gut-rassischen Nachwuchs zu rechnen ist, werden die Kinder, um ihre Erziehung als deutsche Kinder zu gewährleisten, … von der NSV betreut, die sie in besondere Kinderheime für gut-rassische Ausländerkinder oder in Familienpflegestellen einweist.“[35] Geplant war also eine Trennung des Kindes „von der am Arbeitsplatz verbleibenden Mutter“. Diese Trennung sollte nach Möglichkeit nur mit Zustimmung der Mutter erfolgen. Doch es wurde überlegt, „ob nicht bei Ostarbeiterinnen, Arbeitskräften aus dem Generalgouvernement und Schutzangehörigen auf die Zustimmung verzichtet werden kann“.[36]

Das alles bedeutete letztendlich, dass diejenigen Kinder, bei denen die rassische Überprüfung „negativ“ verlaufen war, als „rassisch unerwünscht“ galten und zwangsweise einer „Ausländerkinder-Pflegestätte“ zugewiesen wurden. Im Zusammenhang mit dem Zustandekommen dieses Begriffes ist immer wieder behauptet worden, Himmler habe sich hierfür eine „hochtrabende Bezeichnung“ gewünscht. Die quellenmäßigen Belege für diese Behauptung sind aber sehr dünn. Lediglich Raimond Reiter erläuterte die Hintergründe näher und zitierte aus einer internen Stellungnahme Himmlers vom 31. Dezember 1942: „Er [Himmler] hält es jedoch für richtig, für die Sammelstätten der fremdvölkischen Kinder eine hochtrabende Bezeichnung einzuführen. Der Reichsführer-SS bitte um Unterrichtung, bevor die Bezeichnung endgültig festgelegt wird.“[37]

 

Die Umsetzung des Erlasses vom 27. Juli 1943 in Schleswig-Holstein

Sebastian Lehmann hat die These vertreten, dass „Ausländerkinder-Pflegestätten“ im Laufe des Jahres 1943 überall in der Provinz in Schleswig-Holstein eingerichtet worden seien, „beispielsweise in Lübeck-Schlutup bei der Deutsche Waffen- und Munitionsfabriken AG (DWM) an der Wesloer Straße“.[38] Er beruft sich dabei auf die Ausarbeitung von Christian Rathmer über „Zwangsarbeit in Lübeck“, doch auch hier findet sich nirgendwo ein Dokument, in dem explizit der Begriff „Ausländerkinder-Pflegestätte“ benutzt wird.[39]

Am 21. März 1944 hatte der „Reichsbauernführer“ die Landesbauernschaften in einem Rundschreiben „mit Weisungen für die Errichtung von Entbindungsheimen und Kinderpflegestätten versehen.“[40] Daraufhin informierte die Kreisbauernschaft Südtondern am 25. Mai 1944 darüber, dass hinsichtlich der „Unterbringung von Kindern Fremdvölkischer“ auf Anordnung der Landesbauernschaft entsprechende „Kinderbetreuungsläger … in jedem Kreis einzurichten“ seien.[41] Es kann also z.B. für den Standort Wiemersdorf angenommen werden, dass er von der Kreisbauernschaft Segeberg festgelegt wurde. Auffällig an der Formulierung ist, dass auch hier die eigentlich vorgesehene Bezeichnung „Ausländerkinder-Pflegestätte“ fehlt. Es ist zu vermuten, dass sich die von Himmler gewünschte, aber insgesamt doch recht umständliche Bezeichnung „Ausländerkinder-Pflegestätte“ im Verwaltungsalltag nicht durchgesetzt hat. Der Begriff wurde von den Verantwortlichen nach eigenem Gutdünken umschrieben, jedenfalls ist bisher für Schleswig-Holstein kein Dokument gefunden worden, in dem er benutzt wurde.

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© Uwe Fentsahm (Brügge, Juni 2020)


[26]  Erlass des GBA vom 20. März 1943, in: Bundesarchiv (BA) R 3901/20469 und in: Stadtarchiv Neumünster, MA 5481. Siehe hierzu auch Sebastian Lehmann (wie Anm. 16), S.203; Bernhild Vögel (wie Anm. 12), S.40 und Raimond Reiter (wie Anm. 12), S.55 f.

[27]  Punkt 2 des GBA-Erlasses vom 20. März 1943. Deutschen Frauen wurde der Mutterschutz 6 Wochen vor und 8 Wochen (bei Frühgeburten sogar 12 Wochen) nach der Niederkunft gewährt. Siehe hierzu Bernhild Vögel (wie Anm. 12), S.34 f.

[28]  Punkt 3 des GBA-Erlasses vom 20. März 1943.

[29]  Punkt 6 des GBA-Erlasses vom 20. März 1943.

[30]  Punkt 7 des GBA-Erlasses vom 20. März 1943.

[31]  Punkt 8 des GBA-Erlasses vom 20. März 1943.

[32]  Sebastian Lehmann (wie Anm. 16), S.204.

[33]  Der Erlass vom 27. Juli 1943 wurde i.V. durch Dr. Ernst Kaltenbrunner veröffentlicht und ist vollständig abgedruckt in: Documenta Occupationis X (hrsg. von Alfred Konieczny und Herbert Szurgacz, Poznan 1976), S.300 ff.

[34]  Punkt 4 des Erlasses vom 27. Juli 1943, in: Documenta Occupationis X (wie Anm. 33), S.302.

[35]  Punkt 5 des Erlasses vom 27. Juli 1943, in: Documenta Occupationis X (wie Anm. 33), S.303.

[36]  Punkt 6 des Erlasses vom 27. Juli 1943, in: Documenta Occupationis X (wie Anm. 33), S.304.

[37]  Raimond Reiter (wie Anm. 12), S.40. Vgl. hierzu auch Sebastian Lehmann (wie Anm. 16), S.207. Ulrich Herbert (wie Anm. 14) beruft sich auf ein „Fernschreiben Himmlers an das RSHA vom 31.12.1942“, S.249 und S.422, Anm. 67; Bernhild Vögel (wie Anm. 12) präzisierte die Angabe dahingehend, dass es sich um ein „Fernschreiben von Meine (Pers.Stab RFSS) an den Chef der Sipo im RSHA, Müller, vom 31.12.42“ handele, S.39 und S.176 Anm. 7.

[38]  Sebastian Lehmann (wie Anm. 16), S.207.

[39]  Christian Rathmer: „Ich erinnere mich nur an Tränen und Trauer …“, Zwangsarbeit in Lübeck 1939 bis 1945, Dokumentation zur Ausstellung, Essen 1999, S.76 ff.

[40]  Zitat aus einem „Schnellbrief“ des GBA vom 24. Oktober 1944 an die Präsidenten der Gauarbeitsämter mit dem Betreff: „Behandlung schwangerer ausländischer Arbeiterinnen sowie der nichteinsatzfähigen Ausländer und der Ausländerkinder“, Bundesarchiv R 3901/20467, S.157. Eingeleitet wird das Zitat mit dem Hinweis: „Die Einrichtung der Ausländerkinderpflegestätten, insbesondere die Mittelaufbringung hat zu einer Reihe von Schwierigkeiten geführt.“

[41]  Nils Köhler: Das Schicksal der „Ausländerkinder“ in Nordfriesland – eine historische Recherche, in: Zwangsarbeitende im Kreis Nordfriesland 1939-1945, hrsg. von Uwe Danker, Nils Köhler u.a., Bielefeld 2004, S.237. Das Schreiben vom 25. Mai 1944 findet sich sich hier faksimile abgedruckt. Es stammt aus dem Kreisarchiv Nordfriesland Abt. D46, Nr.18.