Der neue Erlass über "Verpflegungssätze der Ostarbeiterkinder" vom 6. Januar 1944
[Der Erlass wurde faksimile abgedruckt bei Gisela Schwarze: Kinder, die nicht zählten. Ostarbeiterinnen und ihre Kinder im Zweiten Weltkrieg, Essen 1997, S.126.]
Es handelte sich um einen Erlass des Reichsministers für Ernährung und Landwirtschaft Herbert Backe (zugleich "Reichsbauernführer"). In der Einleitung nahm der Minister zunächst einmal Bezug auf seinen "Kann"-Erlass vom 6. Oktober 1942, in dem er bestimmt hatte, "dass die in Lagern untergebrachten Ostarbeiterkinder wöchentlich 1500 g Brot und die Hälfte der Ostarbeitern zustehenden Lebensmittel sowie 1/2 bzw. 1/4 Liter Vollmilch erhalten können."
Scheinheilig fügt er dann erläuternd hinzu: "Bei Festsetzung dieser Rationen ist [1942] davon ausgegangen worden, dass die Ostarbeiterkinder von ihren Müttern gestillt und betreut würden, so dass die Rationen [für die Säuglinge] überwiegend als zusätzliche Nahrung für die stillenden Mütter Verwendung fänden." Backe war offensichtlich (etwas naiv) davon ausgegangen, dass die Mütter ihre Kinder auch tagsüber auf der Arbeitsstelle bei sich haben würden.
Inzwischen hatte Himmler aber (im Juli 1943) die Errichtung von "Ausländerkinder-Pflegestätten" (AKPS) angeordnet und Herbert Backe musste einsehen: "Nunmehr sind aber für die Kinder der Ostarbeiterinnen verschiedentlich Säuglings- und Kleinkinderabteilungen eingerichtet worden. Zur ordnungsmäßigen Versorgung der hier untergebrachten Ostarbeiterkinder sind die oben aufgeführten Lebensmittelrationen nicht geeignet."
Auch der "Reichsbauernführer" Herbert Backe konnte es nicht über sich bringen, den von Himmler gewünschten AKPS-Begriff zu benutzen. Er schreibt weiter: "Zur Verpflegung der Ostarbeiterkinder erhalten die Ostarbeiterkinder-Pflegestätten folgende Lebensmittel je Kopf und Woche zugewiessen: (für Säuglinge im Alter bis zu 1 Jahr) Brot bzw. Weizenmehl (800 g), Butter (100 g), Nährmittel (250 g), Zucker (300 g), Tee-Ersatz (7 g), Vollmilch (3,5 l) und Kartoffeln (2500 g)."
Bernhild Vögel machte darauf aufmerksam, dass diese scheinbare Verbesserung der Ernährungssituation nur für die Säuglinge in den neu geschaffenen „Ausländerkinder-Pflegestätten“ (AKPS) galt: „Polnische und sowjetische Kinder, die mit ihren Eltern in Lagern [ohne AKPS] lebten, erhielten weiterhin die Rationen nach dem "Kann"-Erlass vom 6. Oktober 1942.“[1]
Herbert Backe gab sich diesmal mehr Mühe als 1942 und ordnete explizit an: "Die Ration der Ostarbeiterkinder im Alter von 0-1 Jahr ist den Müttern, solange sie stillen, als zusätzliche Mahlzeit zu verabfolgen oder in Natur auszuhändigen. In dem Maße, in dem auf die künstliche Ernährung der Kinder übergegangen wird, muss die Ration dem Kinde selbst zugute kommen."
Tauschen untereinander ist erwünscht: "Zwischen den festgesetzten Rationen für die verschiedenen Altersgruppen kann innerhalb der Ostarbeiterkinder-Pflegestätte ein innerer Ausgleich stattfinden."
"Ostarbeiterkinder im Alter über 10 Jahre erhalten ohne Rücksicht darauf, ob sie im Ostarbeiterlager oder in der Ostarbeiterkinder-Pflegestätte untergebracht sind, die für Ostarbeiter (-arbeiterinnen) festgesetzten Lebensmittelrationen." Das bedeutete offensichtlich, dass auch schon zehnjährige Kinder zum Arbeitseinsatz gelangen konnten.
Die Problematik des Stillens
[1] Bernhild Vögel: „Entbindungsheim für Ostarbeiterinnen“, Hamburg 1999, S.42.
© Uwe Fentsahm (Brügge, Mai 2021)