Die Gräber der Kinder, die in DP-Lagern gestorben sind, wurden 1959 wieder als Kriegsgräber anerkannt.
Irene Kwasniewska war am 19. Dezember 1945 in Bad Bramstedt geboren worden. Sie wurde aber nur 70 Tage alt und ist am 27. Februar 1946 in Bad Bramstedt verstorben. Als Wohnadresse wird in ihrer Sterbeurkunde "Bleek 16" angegeben.[1] Diese Adresse bezieht sich allerdings auf das Torhaus des (nicht mehr vorhandenen Schlosses) in Bad Bramstedt. Es ist zur Zeit noch nicht geklärt, in welcher Weise das Torhaus nach dem 8. Mai 1945 genutzt wurde. Anzunehmen ist aber, dass es zur Unterbringung ehemaliger polnischer Zwangsarbeiter (als displaced Persons (DP)) diente.[2]
Das Grab von Irene Kwasniewska war 1954 (wie alle Kindergräber in Schleswig-Holstein) zunächst als Kriegsgrab anerkannt und in die offiziellen Listen des Volksbundes deutsche Kriegsgräberfürsorge aufgenommen worden. Die Anerkennung erfolgte damals nach § 6 e) des Kriegsgräbergesetzes von 1952.[3] Dieser Paragraph bezog sich allerdings auf die "ausländischen Arbeiter". Nach einiger Zeit wurde den Verantwortlichen klar, dass Neugeborene und Kleinkinder eigentlich keine "Fremdarbeiter" (Bezeichnung in den ersten Listen des Volksbundes) gewesen sein konnten. Deshalb wurde am 2. Juli 1955 durch das schleswig-holsteinische Innenministerium ein Erlass in Umlauf gebracht, in dem kategorisch die Streichung aller Kindergräber aus den offiziellen Listen angeordnet wurde.[4] Die beim Volksbund vorhandenen Karteikarten wurden ebenfalls entsprechend abgeändert:
[Karteikarte für Irene Kwasniewska, Archiv des Volksbundes in Heikendorf.] Die Karteikarte wurde 1955 mit einem roten diagonalen Strich und dem Vermerk "kein Kriegsgrab" versehen.[5] Im Anschluss daran wurde offensichtlich das Kriegsgräbergesetz von 1952 noch einmal genauer in Augenschein genommen, und es wurde der §6 f) gefunden: Dieser bezog sich auf die "von einer anerkannten internationalen Flüchtlingsorganisation in Sammellagern betreuten Ausländer, die dort gestorben sind oder nach Überführung aus einem solchen Sammellager in einer Krankenanstalt gestorben sind.“ Das heißt mit anderen Worten, dass auch die Gräber von Personen, die während ihres Aufenthaltes in einem DP-Lager verstorben sind, als Kriegsgräber anerkannt werden sollten. Deshalb wurde das Grab von Irene Kwasniewska doch wieder als Kriegsgrab anerkannt. Aus einer Liste des Volksbundes, die sich im Archiv der Friedhofsverwaltung von Bad Bramstedt befindet, ergibt sich, dass diese Wiederanerkennung am 23. Februar 1959 geschah.
[Gräberliste des Volksbundes von 1959 nach §6 f) (Kriegsgräbergesetz 1952), Archiv der Friedhofsverwaltung Bad Bramstedt.] Das Grab von Irene Kwasniewska wurde 1959 nach §6 f) des damals aktuellen Kriegsgräbergesetzes als Kriegsgrab anerkannt, obwohl Irene nach dem 8. Mai 1945 geboren und verstorben war. Die Stadt Bad Bramstedt erhält seitdem jährlich eine finanzielle Pauschale zur Pflege dieses Kriegsgrabes. Auf dem Friedhof in Bad Bramstedt hat es damals aber insgesamt 15 Kindergräber gegeben. 14 von ihnen sind also nicht als Kriegsgräber anerkannt worden, da die betreffenden Kinder vor dem 8. Mai 1945 verstorben sind.[6] Für sie gab es daher auch keine finanziellen Beträge zur Pflege durch das Land. Dieser Umstand hat es der Friedhofsverwaltung leicht gemacht, diese Gräber möglichst bald und unauffällig "verschwinden" bzw. "abräumen" zu lassen.
Copyright: Uwe Fentsahm (Brügge, November 2024)
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[1] Die Sterbeurkunde wurde im Onlinearchiv der Arolsen Archives (ID 77091800) gefunden.
[2] Zur Geschichte des Torhauses und des Schlosses siehe im Internet https://www.alt-bramstedt.de/schadendorf-alt-bramstedt-im-bild#5
[3] Bundesgesetzblatt 1952, Teil I, S.320 ff.
[4] Siehe hierzu den vorhergehenden Artikel über den Erlass von 2. Juli 1955.
[5] Die Karteikarte befindet sich im Archiv des Volksbundes in Heikendorf.
[6] Siehe hierzu den vorhergehenden Artikel über den Erlass von 2. Juli 1955.