Zentrale Quellen zum Thema "Ausländerkinder-Pflegestätten"

 

Der Erlass Heinrich Himmlers (i.V. Dr. Kaltenbrunner) vom 27. Juli 1943

Aufgrund der anhaltenden Diskussionen und Unsicherheiten über die „Behandlung schwangerer ausländischer Arbeiterinnen und der im Reich von ausländischen Arbeiterinnen geborenen Kinder“ sah sich der „Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei“ offensichtlich gezwungen, in einem 12-Punkte-Programm für Klarheit zu sogen. Zunächst einmal bestätigte und präzisierte er die Anordnung des ihm unterstellten GBA Sauckel vom Dezember 1942 und formulierte in Punkt 1: „Ausländische Arbeiterinnen sind wegen eingetretener Schwangerschaft bis auf weiteres nicht mehr in die Heimat zurückzuführen.“ Diese Anordnung gelte insbesondere für Polinnen und Ostarbeiterinnen. Nach der Entbindung sollten die Frauen „baldmöglichst der Arbeit wieder zugeführt“ werden.

Im zweiten Punkt wurde festgelegt, dass die Entbindungen „tunlichst in besonderen Abteilungen der Krankenreviere in den Wohnlagern oder den Durchgangslagern stattfinden. Die Aufnahme in eine Ausländer-Krankenbaracke bei einem deutschen Krankenhaus oder ganz ausnahmsweise in eine deutsche Krankenanstalt kommt nur beim Vorliegen von Regelwidrigkeiten in Frage oder bei der Notwendigkeit, für die Ausbildung von Studenten oder Hebammen-Schülerinnen das Untersuchungsgut zu schaffen.“ In solchen Fällen sei aber streng auf „die Trennung von deutschen Schwangeren“ zu achten.

Die Einführung des Begriffs „Ausländerkinder-Pflegestätte“ (Juli 1943)

Im dritten Punkt wurde die Unterbringung der Neugeborenen problematisiert: „Die von den Ausländerinnen geborenen Kinder dürfen auf keinen Fall durch deutsche Einrichtungen betreut, in deutsche Kinderheime aufgenommen oder sonst mit deutschen Kindern gemeinsam aufwachsen und erzogen werden. Daher werden in den Unterkünften besondere Kleinkinderbetreuungseinrichtungen einfachster Art – „Ausländerkinder-Pflegestätte“ genannt – errichtet, in denen diese Ausländerkinder von weiblichen Angehörigen des betreffenden Volkstums betreut werden.“

Diese Regelung sollte zunächst auch für die Landwirtschaft gelten, in der „Ausländerkinder-Pflegestätten“ – „gegebenenfalls unter Anlehnung an die Ausländerunterkünfte eines Großbetriebes – für die Ausländerkinder des gesamten Dorfes zu schaffen sind.“ In kleinen Dörfern, in denen „nur einzelne oder wenige Ausländerkinder vorhanden sind“, sollte aus praktischen Gründen „vorerst von der Errichtung einer „Ausländerkinder-Pflegestätte“ abgesehen werden können.“ Die Aufsicht über diese neuen Einrichtungen wurde „beim landwirtschaftlichen Einsatz dem Reichsnährstand“ übertragen und in allen übrigen Fällen der Deutschen Arbeitsfront (DAF).

Abschließend wurde im dritten Punkt eine mögliche „Umvermittlung der schwangeren Ausländerinnen bzw. der Ausländerinnen mit Kinder“ erörtert: „Die Kräfte aus dem Einzeleinsatz oder aus kleineren Betrieben“ sollten „möglichst in Betriebe oder Dörfer mit „Ausländerkinder-Pflegstätte“ kommen, wenn das Kind sonst nicht in eine solche Einrichtung aufgenommen werden kann.“

„Gut-rassisch“ oder „rassisch unerwünscht“?

Alle Schwangerschaften von Ausländerinnen sollten durch die Betriebe über das zuständige Arbeitsamt dem Jugendamt gemeldet werden, das dann anschließend eine „vorläufige Vaterschaftsermittlung“ vorzunehmen hatte. Es war z.B. festzustellen, ob „es sich bei dem Erzeuger um einen Deutschen oder Angehörigen eines artverwandten stammesgleichen (germanischen) Volkstums handelt.“ Sofern die Schwangere eine Auskunft zum Vater ihres Kindes verweigerte, wurde sie zur Vernehmung an die Geheime Staatspolizei (Gestapo) überwiesen. „In den Fällen, in denen auf Grund der rassischen Überprüfung sowie erbgesundheitlichen und gesundheitlichen Begutachtung des Erzeugers und der Schwangeren mit einem gut-rassischen Nachwuchs zu rechnen ist, werden die Kinder, um ihre Erziehung als deutsche Kinder zu gewährleisten, … von der NSV betreut, die sie in besondere Kinderheime für gut-rassische Ausländerkinder oder in Familienpflegestellen einweist.“ Geplant war also eine Trennung des Kindes „von der am Arbeitsplatz verbleibenden Mutter“. Diese Trennung sollte nach Möglichkeit nur mit Zustimmung der Mutter erfolgen. Doch es wurde überlegt, „ob nicht bei Ostarbeiterinnen, Arbeitskräften aus dem Generalgouvernement und Schutzangehörigen auf die Zustimmung verzichtet werden kann“.

Das alles bedeutete letztendlich, dass diejenigen Kinder, bei denen die rassische Überprüfung „negativ“ verlaufen war, als „rassisch unerwünscht“ galten und zwangsweise einer „Ausländerkinder-Pflegestätte“ zugewiesen wurden. Im Zusammenhang mit dem Zustandekommen dieses Begriffes ist immer wieder behauptet worden, Himmler habe sich hierfür eine „hochtrabende Bezeichnung“ gewünscht. Die quellenmäßigen Belege für diese Behauptung sind aber sehr dünn. Lediglich Raimond Reiter erläuterte die Hintergründe näher und zitierte aus einer (indirekt übermittelten) internen Stellungnahme Himmlers vom 31. Dezember 1942: „Er [Himmler] hält es jedoch für richtig, für die Sammelstätten der fremdvölkischen Kinder eine hochtrabende Bezeichnung einzuführen. Der Reichsführer-SS bitte um Unterrichtung, bevor die Bezeichnung endgültig festgelegt wird.“ [Raimond Reiter: Tötungsstätten für ausländische Kinder im Zweiten Weltkrieg, Hannover 1993, S.40. Er bezieht sich auf eine Dokument aus dem Staatsarchiv Nürnberg, NG 1479.]


Der Erlass vom 27. Juli 1943 [S-IV D – 377/42 (ausl. Arb.)] wurde i.V. durch Dr. Ernst Kaltenbrunner verfasst, aber nicht veröffentlicht. Er wendet sich lediglich intern (in Abschriften) an die Höheren SS- und Polizeiführer, die Befehlshaber der Sicherheitspolizei, die Staatspolizeileitstellen und nachrichtlich u.a. an das Rasse- und Siedlungshauptamt SS und die Kriminalpolizeileitstellen.

Der Erlass ist vollständig abgedruckt in: Documenta Occupationis X (hrsg. von Alfred Konieczny und Herbert Szurgacz, Poznan 1976), S.300 ff. Eine amtliche Abschrift befindet sich im Landesarchiv Schleswig-Holstein (LASH Abt. 320.12, Nr. 933) und im Bundesarchiv (BA NS 2/233 und R 36/2746).

 

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